Zyklus I - Ein Passionszyklus
Prolog
Es war der Beginn des Jahres 2018, als zwei große Holzschnitte von mir im Künstlerforum Bonn in einer Gruppenausstellung zu sehen waren. Ein Jahr hatte ich an diesen Drucken gearbeitet. Immer wieder wurden Probedrucke gefertigt, um die Symmetrie und den optischen Fluss zu überprüfen. Einige Wochen nach Ende dieser Ausstellung merkte ich, dass ich mich im Formalen verloren hatte und meine Inhalte soweit versteckt waren, dass sie niemand mehr entziffern konnte. Da wollte ich mit meiner Kunst eigentlich nie landen.
Ich beschloss, einen sehr alten Gedanken wieder aufzugreifen und eine Arbeit einzuschieben. Seit dem Jahr 2002 gibt es Überlegungen, Bilder zu dem Kreuzweg zu fertigen. Diese Bilder, so stellte ich es mir vor, sollten weder das Kreuz noch das übliche Figurenpersonal enthalten. Sie sollten lediglich die atmosphärische Stimmung der einzelnen Stationen wiedergeben. Einen wirklichen Zugang fand ich dazu nie und diesem Thema mit formalem künstlerischem Handwerkszeug zu begegnen, fand ich nicht richtig. Auch meine bisherige Bildsprache brachte mich hier nicht weiter.
In den vergangenen Jahren, seit 2014, habe ich neben meiner offiziellen Atelierarbeit immer wieder Gesichter und Köpfe gezeichnet. Sie entstanden zumeist in der Nacht, zum Tagesabschuss. Hunderte von Gesichtern schauen mittlerweile aus den DIN A 4 Blättern. Bei der Überlegung zum Kreuzweg wollte ich diese Arbeit in irgendeiner Form mit einfließen lassen. Mir kam die Idee, den Zyklus zu erweitern und ihn mit einem Abendmahl zu beginnen und mit der Geschichte von Emmaus zu beschließen: zwei Szenen, bei denen unterschiedliche Menschen an einem Tisch versammelt sind. Dazwischen befindet sich eine Erzählung, die einen Bogen über etwa vier oder fünf Tage spannt und deren Auswirkungen immens sind für die europäische Kultur, die Glaubensprägung und das tägliche Leben. Es ist das Zentrum des Christentums.
Im Sommer 2018 besuchte ich eine Ausstellung von HAP Grieshaber. Dort gab es unter anderem den Zyklus des „Osterritts“ zu sehen. Es ist eine 39-teilige, facettenreiche Reihe von Grafiken, in denen Grieshaber die Erlebnisse einer Reise mit seinem Pferd beschreibt. Die Blätter passen formal nicht richtig zusammen. Mal sind sie differenziert ausgearbeitet, mal wird nur ein kurzer Skizzeneindruck festgehalten. Einige Blätter sind abstrakt, andere wiederum einfach und volkstümlich. Ein aufregendes Erlebnis spiegelt dieser Zyklus wieder. Mir kam es so vor, als wollte Grieshaber dort das Erlebte durch die Grafik greifen, begreifen und dieses Erlebnis auch veröffentlichen und weitergeben.
Vom Kreuzweg sind wir eine einheitliche durchgängige Bildsprache gewohnt. Wir sehen ihn als stringente Einheit. Bei meiner Beschäftigung mit diesen bekannten 14 Stationen gibt es für mich keine zwingende Einheit. Es mag alles schlüssig zusammengefügt sein und durch die Tradition selbstverständlich wirken – für mich ist dieser Weg aber ähnlich facettenreich und holperig wie etwa der Ritt des Herrn Grieshaber. Das beginnt schon damit, dass nicht alle Stationen einen Textursprung in der Bibel haben. So etwa finden wir nichts zu der Begegnung Jesu mit seiner Mutter, dem Schweißtuch der Veronika oder den drei Zusammenbrüchen Jesu unter der Last des Kreuzes. Es scheint mir eine Volkserzählung zu sein, die eine Wahrheit beherbergt. Nicht nur eine Wahrheit über den Leidensweg Jesu, sondern über das Leiden, das menschliche Leiden an sich. Dieser Weg verdeutlicht etwas und lädt zum Mitgehen bzw. Nachvollziehen ein. Was gibt es Schöneres als Bilder, die uns mitnehmen wollen. Dazu soll mein Zyklus einladen. Deshalb habe ich mich hier dieser Art von Bildern zugewendet.
Das Abendmahl
Eine Tischgemeinschaft
Das Abendmahl ist ein altes biblisches Bildmotiv, welches das letzte gemeinsame Essen Jesu mit seinen Jüngern zum Thema hat (Matthäus 26.17-30). Die bekannteste Darstellung ist wohl das Fresko von Leonardo da Vinci (1494 – 1498).
In meinem Holzschnitt reizte mich die Darstellung einer heterogenen Tischgemeinschaft. So wissen wir etwa von dem Lieblingsjünger Johannes, dem lauten kämpferischen Petrus, dem ungläubigen Thomas und dem Verräter Judas. Ganz unterschiedliche Menschentypen sitzen dort am Tisch, und in dieser Form habe ich die Gruppen geordnet.
Es gibt die Freunde, die zart und liebevoll miteinander umgehen. Es gibt die Kämpfertypen, die gerne eine Revolution ausrufen möchten und Jesus bis zum Letzten verteidigen wollen. Es gibt die Gestrauchelten, die verraten, leugnen oder zweifeln. Dann gibt es noch die Unscheinbaren, die einfach dabei waren, die aber nicht besonders erwähnt werden. Zuletzt gibt es Jesus, der über jeden irgendwie Bescheid weiß, der auch ahnt, was nach diesem Essen auf ihn zukommt und dass sein unausweichliches Schicksal seinen Lauf nehmen wird. Souverän ist hier gar nichts und niemand. Vielmehr könnte man sagen, das die Gemeinschaft zu einer Karikatur ihrer selbst geworden ist. So verbringt man diesen Abend miteinander, trinkt, isst und verschlüsselte Informationen werden am Tisch ausgetauscht.
All das habe ich durch farbliche Ordnung und Darstellung der unterschiedlichen Typen versucht zu übersetzen. Die Größen haben etwas mit den Intensitäten der Personen zu tun, nicht mit der räumlichen Ordnung. Licht- und Schattenbereiche spiegeln eher die Ausleuchtung der Person wider als den Raum. Das Bild wird durch gegenüberliegende Pole geordnet. So sitzt Jesus diagonal zu Thomas und Judas. Die Verhuschten sind den freundschaftlichen Verbundenen gegenübergestellt, ebenso das laute Kämpfen dem Leugnen vor dem Hahnenschrei. Es gibt viel Gegenüber, wenig Einheit und doch hält der Tisch alle zusammen.
Der Kreuzweg
Eine Befragung der 15 Kreuzwegstationen
Seit etwa 1600 n. Chr. besteht der traditionelle Kreuzweg aus 14 Stationen. Mein erweiterter Kreuzweg stellt mit der 15. Station den Ostermorgen dar.
Bei der Beschäftigung mit dem Thema bemerkte ich, dass es unterschiedliche Lesarten dieses Weges geben kann. Eine einzige Lösung schien mir nicht ausreichend zu sein, um diese Aufgabe künstlerisch befriedigend zu lösen. So behielt ich die äußere Form bei (Format und Druckstöcke) und variierte den Ausdruck über unterschiedliche Farbigkeit und Intensität des Druckes. Von jeder Station gibt es ca. 30 Einzelblätter und insgesamt neun unterschiedlich zusammengestellte Kreuzwege. So entstand etwa „Die violette Passion“, „Es wird real“ oder „Das Ahnen des Leidens“.
Der Kreuzweg hat mich in vielerlei Hinsicht interessiert. Es wird hier eine Geschichte in anschaulichen Bildern erzählt: die Geschichte Jesu, der sein Kreuz auf sich nimmt und seinen Weg bis zum Ende geht. Es ist ein Leidensweg.
In der tradierten Form gibt es einige Stationen, die nicht durch ein Bibelwort belegt sind. Es mag sein, dass diese aus dramaturgischen Gründen eingefügt wurden, oder um bestimmte Situationen des Leidens deutlicher zu veranschaulichen. Ich stellte fest, dass es Stationen der Begegnung, des Ausgeliefertseins und des Alleinseins gibt. Stellvertretend und in sehr besonderer Weise geht Jesus diesen Weg und wir können ihn mitempfinden und nachvollziehen. Der Kreuzweg fragt jeden Menschen unmittelbar nach dem eigenen Lebensweg, den eigenen Stationen und Hürden.
In Emmaus
Eine Tischgemeinschaft
Diese zweite Tischgemeinschaft bildet die motivische wie auch inhaltliche Klammer dieses Zyklus. Während das Abendmahl die heterogene, aufgeheizte Gesellschaft darstellt, wird hier ein ruhiges und geschlossenes Beisammensein gezeigt.
Die Emmausgeschichte (Lukas 24.13-35) erzählt uns zwei Situationen. Zunächst wird von zwei Männern gesprochen, die mit Jesus unterwegs sind und sich über die Geschehnisse der letzten Tage (Kreuzigung und Ostern) austauschen. Es ist eher ein Trauermarsch als eine Wanderung. Jesus wird von den beiden nicht erkannt und sie gehen alle gemeinsam in ein Gasthaus. Dort gibt es die zweite Situation, in der Jesus das Brot bricht und an die Männer verteilt. In diesem Moment wird er von diesen als Jesus erkannt und entschwindet im gleichen
Augenblick. Genau diese Umbruchsituation beschreibt das Bild, wobei die gesamte Szene vom österlichen Licht durchdrungen ist.
Daten zum gesamten Zyklus
589 Einzeldrucke
17 Bilder mit 2 zusätzlichen Varianten
36 Druckstöcke
8 Monate Arbeitszeit
Musik zum Thema:
Johann Sebastian Bach (1685-1750) Matthäus-Passion https://www.youtube.com/
Arvo Pärt: Passio / Johannespassionen https://www.youtube.com/
Johann Sebastian Bach (1685-1750) St John Passion BWV 245 https://www.youtube.com/
Marcel Dupré (1886-1971): Der Kreuzweg https://www.youtube.com/watch?v=5ajmDCMFpNo
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