Jürgen Middelmann „ Nur das Auge ist der Richter“
„Das Auge ist der Richter“, meinte Jawlensky und damit
betonte er die reine Malerei.
Bei Jürgen
Middelmann geht es ebenfalls um „reine Malerei“, und dies im doppelten Sinn des
Wortes.
Einmal wird
damit das Nichtgebundensein an
Gegenstände und Figuren bezeichnet, zum anderen bezieht sich die reine
Malerei auf ein „Rein-sein“, in dem
Sinne, dass jede Trübung ausgeschlossen ist, wie sie vielleicht in
Kompromissen bestehen könnte, vielleicht darin, etwas vereinfachen oder abkürzen zu wollen,
ungeduldig zu werden oder die selbst gesetzten Spielregeln zu verlassen.
Reine Malerei bedeutet hier nichts anderes als die volle
Konzentration auf das, was da entsteht, aus dem eigenen Pulsschlag heraus: „Ein
Bild wächst eigentlich wie ein Baum, es gibt ein Schicht- um- Schicht-
langsames Wachstum“, sagt der Maler und wir sehen: Es sind die Spielregeln eines organischen Wachsens, wo
eines an das andere anknüpft, eines mit dem anderen verbunden ist, daraus
hervorgeht, aber doch volle Eigenständigkeit entwickelt, sei es in einer Linie
oder in einer sich aus dem Liniengefüge ergebenden Fläche. Nirgends gibt es zwei gleiche Linien, mag sein, dass
im Pinselansatz noch ein kleines Blau steckt, das eben nur mitschwingt oder
dass der feine Farbabrieb etwas dunkler oder heller wirkt.
Bei den Schwarz-Weiß-Arbeiten haben flirrende
Birkenstämme mit ihrer fleckigen Rinde Impulse gesetzt.
Als der Künstler in Finnland
war, „ in einem Land, das im März
ziemlich langweilig ist mit seinen zugefrorenen Gewässern“, blieb
sein Auge an den Stämmen der Birken hängen: „Erst wenn man nah herangeht, sieht man die
Schönheit und wie jeder Baum aus der Nähe Individualität bekommt“. Er entdeckte
ein leises Vibrieren und staunte über „den Zustand, der im nächsten Moment ganz
anders aussieht.“
Dies versuchte er zu übertragen. Er setzt mit dem
Finger und Fingerfarben Punkte, Wische in minutiös kleinen Spuren auf großformatige Papier .
Der Fingerdruck ist dabei immer etwas anders,
lebendig vom kleinsten Tupfer bis hin zu beginnenden Verdichtungen. Die
gleichmäßig gesetzten Punkte formieren sich und zerstreuen sich wieder, halten
eine magische Grenze ein. Sie scheinen sich zu verselbständigen oder werden zu
Schwärmen.
Verlauf, 2013 |
Dies erinnert an Wols, der als Begründer des Informel über das Phänomen gestaunt hat, dass völlig
unverbundene Bleistiftstriche zu
bewegten Gesamtordnungen werden. Er war damals von Getreidefeldern fasziniert, über die der Wind ging.
„Die Form kann nie ganz fest sein“, sagt Jürgen
Middelmann, „meine Arbeiten haben immer etwas mit einem Dasein, einem Weggehen
und einem Erscheinen zu tun. Und so interessiert mich die Essenz hinter den
Dingen, nicht eigentlich die endgültige Erscheinungsform.“
Zumeist bestehen die Bilder, ob in Schwarz-Weiß oder
in Farben aus waagrechten und manchmal auch senkrechten, eng aus- und
aneinander, aber nur selten übereinander gezogenen Linien, in denen die
Handschrift erhalten bleibt.
Was sehen wir? Flächen oder Linien? Flächen sind voneinander
abgesetzt, die Bildkompositionen klar strukturiert, aber wir können dennoch
nicht genau sagen, ob wir Flächen oder Linien vor uns haben, je nachdem auch,
aus welcher Entfernung wir die Bilder auf uns wirken lassen.
Immer bleibt die Durchsicht auf den Bildgrund erhalten.
Sie ist wichtig, denn so flutet Licht
durch das Bild und räumliche Tiefe kann entstehen. Der Arbeitsprozess
wird ebenso transparent wie der Bildaufbau.
So können diese Flächen tief aufreißen, dass ein oder mehrere
Risse durch das Bild (Ende 13|gehalten) zu gehen scheinen, dass hell werdende
Reflexe sich hervorzuwölben scheinen (Mit
Abstand, 2014). Licht und Dunkelheit gewinnen ein Eigenleben (gewölbt, 2014 oder Nische, 2014). Manchmal werden die Verläufe leicht geschrägt, doch
zumeist setzt sich das Gefüge aus
Horizontalen und Vertikalen zusammen. Es fehlen barocke Formen wie dynamische Bogen oder gar Ornamentansätze.
Mit Abstand |
Ende 13| gehalten |
Nische |
gewölbt |
Trotz aller Transparenz und Nachvollziehbarkeit bleiben die Bilder geheimnisvoll. Dort wo die Flächen aneinanderstoßen, entstehen verschwimmend changierende Effekte, und irgendwann wird uns bewusst, dass in den Kompositionen die Konturen fehlen. Die feinen Elemente ordnen sich wie von selbst, wie Feilspäne um Magneten.
Augenfällig
wurde der Verzicht auf eingrenzende Konturen in der Renaissance. Feinste Übergänge entstanden in einer
„Sfumato“-Malerei („rauch“-artig feine Übergänge), die von Leonardo da Vinci
entwickelt wurde, besonders zu bewundern im Bildnis der Mona Lisa.
Die Konturlosigkeit zeigte sich dann in der „Flüchtigkeit“ der holländischen
Landschaftsmalerei, wo windzerzauste Bäume
aus (durchaus gestischen) kleinen Pinselstrichen und Farbwischen bestehen.
Auch Delacroix verstand so Bewegung wiederzugegeben und wurde
damit zum Vorbild für die Impressionisten. Als man den Impressionismus schließlich genau berechnete, entstand der rationale Pointillismus, eine
Zusammensetzung berechneter Farbkleckse. Doch Jürgen Middelmann legt keine systematische
rationale Theorie zugrunde. Bei ihm
gehet es um die Balance zwischen Flüchtigkeit und Statik, zwischen Bewegung und
gebautem Bild. Hierbei ist „ nur das Auge der Richter“.
Heidrun Wirth
1 Kommentar:
Wie das Auge "Richter" sein kann, kann es zugleich auch "Henker" sein.
Ein jedes Auge, meist paarweise anzutreffen, gehört zu einem denken, fühlenden wie sehenden Individuum mit subjektiver Betrachtungsweise. Somit erfährt die Deutung und Wirkung reiner Malerei auch ihre Individualität- teils auch kulturell wie lokal geprägt.
Wie vielschichtig diese Malerei sein kann, derart vielschichtig sind auch deren Erfahrungen und Deutungen- alles in Allem macht sie einzigartig und eben nicht etwa "auf einen Gegenstand" festzumachen, der allgemeine Gültigkeit besitzt.
So fühlt sich etwa der Eine von einem bestimmten Werk angezogen, gar "umarmt", wie in seinen Bann gezogen. Den anderen stimmt es nachdenklich, den Dritten negativ. Der Austausch zwischen den Individuen ist auch ein Part, der Kunst spannend macht.
Das "richtende Auge" bei den Werken Jürgen Middelmanns ist, wie auch die Werke selbst, nicht festgelegt. Die erzeugte Spannung innerhalb eines Bildes des Künstlers überträgt sich beim Betrachten der Werke in individueller Ausprägung auf denjenigen, der mit ihnen in Dialog tritt, der die Schwingungen der reinen Malerei auf sich wirken lässt- sie perzipiert.
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