Die Verschiebung der Sanduhr, 6.11.2017 - 25.1.2018
Bonner Talweg 10, 53113 Bonn
Öffnungszeiten: Mo - Fr 9-13 Uhr
Mo und Do 16 - 18 Uhr
Die Verschiebung der Sanduhr
*
Holzschnitte und Zeichnungen
von
Jürgen Middelmann
im
Haus der Theatergemeinde Bonn
*
Die
Ausstellung trägt den Titel „die Verschiebung der Sanduhr“. Das ist zunächst
ganz konkret gemeint. Unter den ursprünglich 27 Holzschnitten, von denen fünf
hier oben hängen, gibt es ein Blatt, das einer „Sanduhr“ am nächsten kommt. Man
könnte damit die übrigen Arbeiten vergleichen, die sich davon weg und auch
vielleicht auch wieder darauf zu bewegen.
Verschiebungen gibt es allemal in der
spannenden Geschichte der Kunst. Und man könnte sagen: Nichts hat sich im Laufe
der letzten 150 Jahre im Visuellen so verändert wie die Kunst. Aber natürlich
ist dabei die Kunst nichts anderes ein Spiegel der sich ebenso rasch verschiebenden
Zeit.
Ich möchte, um
dies zu erläutern, mit einem Gedicht von Baudelaire beginnen, das der französische Dichter und Freund von Eduard
Manet um 1860 geschrieben hat. Es ist eine Hymne an die Schönheit selbst in Form einer weißpolierten Marmorskulptur:
„Ich bin schön. Ihr Sterblichen! Wie ein Traum von Stein. Mein Herz ist von
Schnee, wie der Schwäne Weiß; ich hasse Bewegung, die die Linie zerreißt, und
niemals lach´ich und niemals wein´ ich“.
Diese
Mischung von „nerviger Feinfühligkeit“ und „rätselhafter Kälte“ ist typisch für
die Belle Epoque und mit dem Vers „niemals lach ich, niemals wein ich“
schleicht sich aber auch schon eine Kritik an der figurativen Darstellung ein
in ihrer Glätte und vielleicht auch erstarrten Oberflächlichkeit , die in der
Folge große Verschiebungen auslösen wird.
Es war Zeit,
so sagten dann die Impressionisten, dass sich etwas Neues ereignet, wo das Alte
unter dem Diktat eines überreglementierten Salons erstarrt und unvermerkt zum
Klischee wurde. Es war Zeit für etwas Neues, sagten die russischen Futuristen
und versuchten den neuen Zeitgeist als ferne
zeitlose Visionen in konstruktiv klaren geometrischen Formen zu fassen.
Es ist Zeit,
so sagen manche Künstler und Künstlerinnen
heute, nicht mehr ein Mehr an Großem, Bombastischen, Unverrückbaren zu schaffen. Es ist Zeit, nicht
mehr Symbolismen, Allegorien und Illusionismen weiterzutreiben, denn solches
Treibgut der Kunstgeschichte (wie ideologische Propaganda oder bürgerlichen
Kitsch) gibt es genug.
Könnte es
aber nicht für uns Zeit sein, sich dem zuzuwenden, was wir übersehen haben, gerade inmitten der täglichen Bilderfluten? Zeit
für ein Stopp an Novitäten, Gags und events, Zeit für eine neue Bescheidenheit?
In diesem
Zusammenhang stelle ich die Kunst von Jürgen Middelmann.
Es geht hier
um Reduktion und eine fast
asketische Besinnung auf die Grundlagen. Es geht also um eine Erforschung unserer
Wahrnehmung, und der Blick auf diese
Arbeiten wird dabei auch zu einer Schule
des Sehens. So etwas kann die Kunst immer nur dann leisten, wenn sie zu neuem Staunen führt,
denn allein dadurch definiert sich Kunst
immer, heute wie damals.
Die Holzschnitte beruhen auf schlichten,
allerdings mit höchster Sorgfalt bearbeiteten acht Holzplatten, die aber nicht
gleich breit sind: 2 breite in Schwarz,
2 schmale in Schwarz und das Gleiche noch einmal in Grau. Durch den reduzierten
Einsatz der (unbunten) Farben konzentriert sich alles auf das Licht und
zugleich ergibt sich eine fast unbeschränkte Vielfalt an
Variationsmöglichkeiten. Ursprünglich umfasst
die Reihe 3 x 9 Blätter, hier oben sind fünf Arbeiten davon zu sehen. Auf jedem Blatt wurden zwei nebeneinanderliegende Platten
gedruckt, zunächst in Schwarz und dann noch
einmal zwei in hellem Grau darüber
gedruckt. Immer lag eine breitere neben
einer schmaleren Platte. Bei dieser Anordnung ist schon eines ausgeschlossen,
nämlich eine simple Symmetrie, denn die vertikale Achse kommt nie in die
Bildmitte.
Auch wenn Jürgen
Middelmann seine Werkreihe wissenschaftlich-technisch „Modul I“ nennt, ist sein Ergebnis doch
völlig anders als die seriellen Reihen der zuvor „konkret“ oder „konstruktiv“ genannten Kunst,
die nach den Weltkriegen jede Figuration
ablehnte und zugleich auf eine neue technische Machbarkeit setzte.
Bei diesen
Arbeiten ist es anders. Hier spielt das Handwerkliche mit seinen winzigen, so
menschlichen und zugleich ästhetisch reizvollen Abweichungen eine besondere
Rolle. Dadurch entsteht einfach eine andere Tonigkeit, eine andere „Temperatur“
wie bei einer alten Fachwerkwand im
Gegenüber zu einer Rasterfassade.
In der sorgfältigen
Anordnung aber geht es dem Künstler, wie dem wissenschaftlichen Forscher:
„Ausgangspunkt ist eine sachliche Fragestellung, die immer
durch die Bildgestaltung selbst gegeben ist, wie „scharf und unscharf“, „Helligkeit
und Dunkelheit“. „Licht und Schatten“, oder die Frage nach dem illusionistischen
Gehalt, der sich sozusagen hintenherum einschleicht wie Raumtiefe oder
Flächigkeit. Mal sind es Räume, bei denen die tiefe perspektivische Sicht bis
ins Unendliche zu gehen scheint, mal bricht gebündeltes Licht aus verschiedenen
Lichtquellen hervor. Es ergibt sich dabei ein geradezu Turnerscher oder fast
rembrandthafter Lichteinfall. Manchmal stoßen zwei Platten krass aneinander,
dann wieder verschwinden alle Übergänge.
Mal wird die Komposition zu einem
geschlossenen Ganzen, mal zerbricht sie in disparate Teile. Manchmal sind die
Teile gestaffelt, und manchmal scheinen die Linien in ein Rieseln überzugehen.
Diese Bilder
sind gegenstandslos und trotzdem stellen sich für uns Metaphern und optische Assoziationen ein wie Schnabelformen
oder Kiele von Kähnen und Schiffen, Torbogen, Schleier oder auch
in den Bleistiftzeichnungen feine wehende Tücher. Und es gibt eben einige Blätter, die an eine Sanduhr erinnern.
Ist die Sanduhr verschoben, dann ist es auch
die Zeit. Der Sand fließt, aber er fließt in unserer Lebenszeit eben nicht
immer in einem gleichmäßigen Tempo, und manche dissonante Unterbrechungen oder
Brüche sind möglich, leichte Verschiebungen sind eine Metapher für das Leben
selbst.
Überraschend Neues tritt hervor, das der
Künstler so nicht planen konnte. „Die Überraschung liegt beim Tun, wenn die
Kontraste entstehen“, konstatiert Jürgen Middelmann, der dann selbst über diese Abzüge vom Holz staunen
kann. „Irgendwann ergibt sich daraus etwas ganz
anderes, das eine eigene Atmosphäre bildet, die bis in das Mystische gehen kann“,
sagt er und meint nachdenklich: „Eigentlich setzt sich meine Arbeit aus
Beidem zusammen“, dem Gewollten und dem Nicht-mehr-Planbaren.
Jürgen
Middelmann macht kein Geheimnis aus seiner Arbeit, im Gegenteil, er will, dass der
Arbeitsprozess „Strich für Strich“ nachvollziehbar bleibt. Sein Arbeitseinsatz
kommt so aber als Kraftquelle auf
den Betrachter zurück, eine Kraft, die
aus der Reduktion kommt, nicht aus einem Mehr sondern aus einem Weniger.
Heidrun Wirth
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